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Gastbeitrag: Wir müssen Politik reformieren - mehr Diversität ist ein Teil davon!

Wie das Talentprogramm Team Europa Menschen mit diversen Hintergründen für den politischen Quereinstieg gewonnen hat
Team Europa: Echte Diversität in der Politik! (© Volt Deutschland)

Als ich 2019 angefangen habe, mich politisch für Klimaschutz, Demokratie und Europa zu engagieren, hätte ich niemals für möglich gehalten, dass ich mal selbst auf ein politisches Spitzenamt kandidiere, geschweige denn erfolgreich aufgestellt werde. 

Aber genau das war innerhalb kürzester Zeit mehrfach möglich, weil ich das Glück hatte, dass immer wieder Menschen um mich herum an mich und meine Fähigkeiten geglaubt und mich unterstützt haben. Sie haben mir damit die Tür geöffnet und mich dazu eingeladen, an mich selbst zu glauben und einfach zu machen. Ohne diese Impulse hätte ich es wahrscheinlich nie versucht. Und genau diese Erfahrung hat mich bewogen, das Projekt Team Europa gemeinsam mit JoinPolitics und einem großartigen Projektteam hinter den Kulissen zu starten. 

Nela, die als Teilnehmerin bei Team Europa dabei war und Volt jetzt im Europaparlament vertritt, trifft den Kern des Problems: “Demokratie bedeutet Repräsentation. Wenn die Menschen sich nicht gesehen fühlen, halten sie die Demokratie für ein elitäres Projekt”. 

In der Politik stehen wir aktuell vor großen Herausforderungen. Einerseits fehlen bei vielen Themen wichtige Perspektiven, Lebensrealitäten und Expertise, um konstruktive Lösungen zu entwickeln, z.B. im Bereich Klimaschutz oder Außenpolitik. Hinzu kommt, dass die Politik immer unnahbarer wirkt, weil der Anteil an Berufspolitiker*innen zu groß ist, die vielfach den bestehenden Klischees entsprechen (vor allem weiß, männlich über 60). Außerdem fehlt zunehmend die Fähigkeit, komplexe politische Prozesse und Entscheidungen so zu erklären, dass möglichst alle in der Bevölkerung sie verstehen.
Andererseits geht es aber auch um die von Nela angesprochene Repräsentation. Meinungen wie “die da oben interessiert sowieso nicht, was wir denken” entstehen nicht ohne Grund. Es gibt hierzulande eine große Gruppe an Personen, die sich immer weniger oder gar nicht mit den Abgeordneten in den Parlamenten identifizieren, weil diese ihre Perspektiven und Lebensrealitäten zu wenig im politischen Prozess abbilden. 

Als Folge sehen wir Raum für Populismus und schlussendlich einen Rechtsruck innerhalb der Gesellschaft und das viele Bürger*innen nicht mehr konstruktiv wählen. Sie fühlen sich vom politischen System nicht wahrgenommen, nehmen eine zynische Haltung ein und distanzieren sich mehr und mehr von der demokratischen Politik.

Die Gefahr dieser Entwicklung ist inzwischen in der Öffentlichkeit und auch im Bewusstsein der etablierten politischen Parteien angekommen. Wie gewinnen wir Menschen aus unterrepräsentierten Gruppen - die wir wirklich dringend brauchen - für die Politik? 

Fest steht: Wir müssen Diversität auf allen politischen Ebenen fördern, es ist eines der großen Themen unserer Zeit. Bisher tut sich aber zu wenig. Das liegt nicht daran, dass es unter Menschen mit diversen Hintergründen, also z.B. Frauen, Menschen mit Migrationsbiografie, bestimmter sexueller Orientierung, Behinderung oder unter Nicht-Akademiker*innen keine potentiellen Politiker*innen gibt. Im Gegenteil: Sie haben Ideen und Visionen, können für ihre Perspektiven werben und wollen gehört werden. Was wir stattdessen brauchen, ist ein ernsthaftes, tiefgreifendes Umdenken. Parteien müssen anfangen, ihre historisch gewachsenen Strukturen zu hinterfragen und reformieren zu wollen. 

Wenn wir Diversität wollen, reicht es nicht, sie wie ein Buzzword einzusetzen. Politische Parteien müssen sich fragen, wie sie für Menschen mit diversen Hintergründen attraktiv werden, ihnen Angebote machen, sie also einladen und dort werben, wo sie anzutreffen sind. Dann aber auch die Tür wirklich öffnen. Es geht noch immer darum, systemische Hürden abzubauen. Genau das sollte Team Europa bei Volt ermöglichen.

Besuch im Europaparlament (© Volt Deutschland)

Natürlich stand auch für uns zunächst die Frage im Raum, wie wir sie überhaupt erreichen. Im Grunde haben wir auf drei Faktoren gesetzt:

  • Erstens, haben wir die Bewerbung so einfach und wenig zeitintensiv wie möglich gestaltet. Mit Hilfe einer digitalen Kampagne haben wir über die Volt-Kanäle auf das Talentprogramm aufmerksam gemacht, gleichzeitig aber klar kommuniziert: Wer sich bewerben will, braucht kein Vorwissen, keine politische Erfahrung, muss weder direkt Parteimitglied werden noch großen zeitlichen Aufwand in die Bewerbung investieren. Wir wollten niemanden mit langwierigen, bürokratischen Prozessen abschrecken.
  • Zweitens haben wir auf Multiplikator*innen gesetzt. Um mit Team Europa nicht nur Personen zu erreichen, die Volt bereits kennen und den Accounts folgen. Wir wollten gerade außerhalb der bekannten Strukturen nach Talenten suchen und sie aktivieren. Deshalb haben wir den Bewerbungsaufruf breit gestreut, auch das JoinPolitics-Netzwerk war eine große Hilfe. Die Idee hinter Team Europa ist schnell auf große Unterstützung gestoßen und hat unsere Reichweite deutlich erhöht.
  • Der letzte, aber meiner Meinung nach wichtigste Faktor, war und ist Empowerment. In gewisser Weise besteht hier ohnehin die Grundidee des Team Europa. Betrachten wir das einmal so: Viele Frauen, Menschen mit Migrationsbiografie, unterschiedlichem Bildungsweg oder Behinderung sowie aus der LGBTQ+-Community haben ein anderes Selbstverständnis. Sie haben die Erfahrung gemacht, in Schubladen gesteckt zu werden. Ihnen wurde vermittelt, dass sie mehr leisten müssen als andere, um anerkannt und wertgeschätzt zu werden. Entsprechend gehen sie demütiger an Dinge heran, sind der Ansicht, dass ihre Stimme weniger zählt und rechnen sich von Anfang an geringere Chancen aus, überhaupt erfolgreich zu sein. Obwohl sie häufig bereits alles an Fähigkeiten und Erfahrungen mitbringen.

Deshalb ist es so wichtig, dass wir sie daran erinnern, dass sie gerade aufgrund ihrer Biografie in der Politik gebraucht werden. Eine Option ist es, sie zu empowern und den Weg über Dritte einzubinden, die sie kennen und ihnen nahestehen. Das kann den nötigen Rückhalt geben, um sich die Bewerbung zu zutrauen. Bei Yasemin Efiloğlu, die bei den Europawahlen für Volt auf Listenplatz 5 kandidiert hat, hat das gut funktioniert: Sie selbst sagt, dass sie sich ohne den Zuspruch einer Freundin nicht beworben hätte. Und genau da ist der Hebel: Ihre Freundin wusste, dass Yasemin eine geeignete Kandidatin ist - und so kam ihre Bewerbung kurz vor der Frist zum Glück doch noch bei uns an.

Dass dieser Dreiklang so gut funktioniert, um bisher weniger im Politikbetrieb vertretene Gruppen zu aktivieren, hat mich am Ende selbst überrascht. Zeigt aber gleichzeitig noch einmal deutlich das Potenzial in unserer Gesellschaft. Letztlich hatten wir nach unserem Auswahlwochenende in Berlin, an dem ich aufgrund meines Mutterschutzes leider selbst nicht teilnehmen konnte, ein 15-köpfiges Team Europa. Anfang 2023 haben sie dann das Talentprogramm durchlaufen - acht von ihnen haben sich für eine Kandidatur bei den Europawahlen entschieden und sind entsprechend Mitglied bei Volt geworden. Auf dieses Ergebnis alleine sind wir wahnsinnig stolz!

Natürlich konnten wir ihnen nicht versprechen, dass sie auch wirklich einen aussichtsreichen Listenplatz für die Europawahlen bei Volt erhalten. Darum ging es auch nie. Und trotzdem haben alle acht Kandidierenden von Team Europa eine in Teilen extrem hohe Listenplatzierung (siehe Nela mit Platz 2 und Yasemin auf Platz 5) bei der basisdemokratischen Wahl der Europawahlliste erzielt. Team Europa ist ein Beitrag zur Chancengleichheit und soll ein Level playing field schaffen, damit wir endlich die Ausgangslage für Menschen mit diversen Hintergründen in der Politik verbessern. Und genau das haben wir geschafft. 

Plakatieren im Wahlkampf (© Volt Deutschland)

Stellvertretend möchte ich Nela Riehl noch einmal anführen: Nach zwölf Jahren als Lehrerin hat sie sich mit Team Europa für die Kandidatur bei den Europawahlen entschieden. Bei unserem Aufstellungsparteitag ist sie zur Spitzenkandidatin gewählt worden und hat es in das Europaparlament geschafft. Als wäre das nicht schon beeindruckend genug, ist sie jetzt Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Bildung. Ich habe vor ihrem Mut und Leistung großen Respekt! Gleiches gilt für Anna Polasek und Anita Matičević, die ebenfalls über Team Europa zu Volt kamen, sowohl für die Europawahl als auch die Kommunalwahlen in Baden Württemberg kandidiert haben. Beide sitzen nun im Stadtrat, Anna in Freiburg und Anita in Esslingen. 

Letztlich muss jedoch nicht nur die europäische Politik diverser werden. Deshalb werden wir Team Europa im kommenden Jahr weiterführen, aber unter einem neuen Namen: Mit Next Generation Politics werden wir zu den Bürgerschaftswahlen in Hamburg, den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen und den Bundestagswahlen nach Menschen mit diversen Hintergründen suchen und ich bin sicher, dass wir auch hier viele Persönlichkeiten finden werden, die eine notwendige Bereicherung für unsere Demokratie sind.